Postbüro à la française

ein grosser raum in einem alten, schönen gebäude. kann mich nicht mehr an details erinnern, wie es aussah, aber auf alle fälle unorganisiert, irgendwie provisorisch. viel papierkram lag da auf den tresen.
die franzosen scheinen noch nicht so auf digitale administration umgestiegen zu sein.
ein durcheinander! wie kann man so den überblick behalten?, frage ich mich.

ich setze mich auf einen stuhl, dann bemustere ich die frau vor mir am schalter: massig, mit blondem haar, von hinten erscheint ihr kopf winzig im verhältnis zu ihrem körper, ihre oberschenkel lassen die füsse weit auseinander stehen.
neben mir bemerke ich einen jungen, sitzend auf seinem skateboard. scheinbar ihr sohn; um die 12, 13 jahre, vielleicht auch erst 10. dieselben glatten, feinen blonden haare, dieselbe lange, schmale nase. von der seite erinnert mich sein profil stark an eine römische statue.

die blonde frau und die angestellte am schalter tief im gespräch, formulare hin und herschiebend. dauert wohl noch.
der junge beginnt rechts neben mir auf seinem skateboard vor- und zurück zufahren, macht neben seiner mutter halt, spricht mit ihr irgendwas. ich höre nicht zu, schaue nur.
er trägt eine graue jerseyhose, sportschuhe und ein shirt.

bis dahin ist es ein blosses wahrnehmen, gedankenlos, zufällig.
dann beginnt das glotzen:
eine weisse plastiktüte liegt vorne auf seinem skateboard. er raschelt darin, zieht eine röhrenförmige packung heraus, schnappt sich einen doppelkeks, isst. noch während er kaut, den abgebissenen keks in der einen hand, zieht er mit seiner anderen eine angebrochene chipspackung hervor. alles geht recht schnell.
irgendwas an der situation kommt mir plötzlich... seltsam vor: das bild von dem jungen, am boden des schmuddligen postbüros auf seinem skateboard sitzend und durcheinander kekse und chips verschlingend.
ich denke alles auf einmal: wie die eltern, so das kind. wieso isst er hier, an diesem ort? ist das nicht ungemütlich? hat er einfach total hunger? ist ihm langweilig? wär es nicht schöner, draussen auf der bank, irgendwo, mit seiner mutter das zu essen? oder besser allein. oder mit seinen freunden. schmeckt das überhaupt; schokokeks à la prinzenrollen vermischt mit kartoffelchips? jaja, im magen kommt sowieso alles zusammen, doofer bullshit, im mund tanzt die geschmacksmusik! oh, aber er sieht nicht wirklich fit aus, da kann er noch lange auf seinem skateboard herumrollen. die schmecken aber schon gut, diese doppelkekse. das verhältnis schokocrème-keks fällt zulassten des trockenen gebäcks, das zieht einem die ganze feuchtigkeit aus der mundhöhle. dann kommt aber die feste creme, die im mund zu einer weichen paste wird... ich will auch. sind sie von einer marke oder von einer eigenproduktlinie eines grosshändlers? wie viel kosten die? was ist sein lieblingsessen? hat er das für sich alleine gekauft, oder zusammen für sich und die mutter? aber: wieso hier, jetzt, am boden? oh, aber und die mutter - ist es ihr eigentlich egal, dass ihr sohn dazu droht, sich körperlich in ihre gewichtsklasse zu bewegen?! aber pssscht - stop. vielleicht ist sie es sich nicht bewusst. oder kann nichts dagegen machen? ist hilflos? vielleicht hat sie depressionen! sie tut mir leid... er tut mir leid... irgendwie traurig. nein, aber vielleicht, vielleicht geht es ihr voll gut; sie geniesst, liebt ihren körper, ist gesund, energiegeladen, steht im leben.

warum, woher diese urteile?

essen. auf dem boden, in einem französisch-unorganisiertem postbüro. wieso nicht?

ich wende meinen blick ab, als die frau ihre tasche packt und mit dem sohn das büro verlässt. ich bin an der reihe, die szene verschwindet in meiner erinnerung.


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